Ich finde es eine ausgezeichnete Art und Weise, dass wir auch die Rezeption und Interpretation
einer solchen Studie im Diskurs, im kollegialen Diskurs voranbringen.
Ich glaube, das nützt einer solchen Unternehmung.
In der Zeit wird freilich dazu führen, dass sich nur ganz exemplarisch einige Aspekte
hier aus der Zusammenschau der Ergebnisse aufnehmen kann.
Ich will aber nicht verhehlen, dass es auch aus prinzipiellen Gründen nicht leicht
fehlt, eine Zusammenschau der vorliegenden Studien zu bieten. Es wird
meines Erachtens heute sehr schnell von Triangulation gesprochen und nicht
geklärt, was genau trianguliert wird. Ich bin auch skeptisch, wenn so schnell von
Validierung gesprochen wird. Ich will wissen, was genau validiert wird,
welche Beobachtungen werden validiert, wenn so unterschiedliche Samples hier
gefragt werden. Mein Kontext etwa der empirischen
Bildungsforschung in Tübingen ist da sehr sehr skeptisch, was solche Ansprüche
angeht und will sehr genau wissen, was man macht. Ich ruf nochmal in Erinnerung,
dass wir ja zwei sehr unterschiedliche Samples jetzt bei der MNIT-Studie haben.
Menschen, die zum Teil seit 40, 50 Jahren nicht mehr die Schule besuchen und auf
der anderen Seite die Lehrerschaft, die sehr sehr dicht an dem Alltag der Schule
ist. Wir haben deshalb bei der Einschätzung der Befunde, bei der
Interpretation der Befunde aus der MNIT-Studie in Rechnung zu stellen, dass
hier Erinnerungseffekte eine sehr große Rolle spielen. Das heißt, die Erinnerung
verändert ja das, was man in Vergangenheit erfahren hat. Es ist nicht
die Realität, die erinnert wird. Die Erinnerung ist konstruktiv und wenn man
einen objektiven Bericht will, ist sie verzerrend. Zweitens haben wir im
doppelten Sinne Kohorteneffekte. Kohorteneffekte insofern, das wurde mehrfach
angesprochen, als der Religionsunterricht, der von verschiedenen
Altersgruppen besucht und erlebt wurde, ein unterschiedlicher Religionsunterricht war.
In der Zeit, in der hier zurückgeblickt wird, hat sich der Religionsunterricht
mehrfach weitreichend verändert. Das ist die eine Seite der Kohorte, zum
anderen hat sich aber auch die Kohorte selbst verändert.
Das heißt, nicht nur wird der Religionsunterricht anders, sondern er
wird anders wahrgenommen, anders eingeschätzt und das macht es natürlich
sehr, sehr schwierig, das in ein Verhältnis zu der heutigen Wahrnehmung
zu setzen. Ich meine, dass der besondere Wert der MNIT-Studie
tatsächlich genau in dem liegt, was sie vorhat. Sie will wissen, wie ist die
Einstellung in der allgemeinen Bevölkerung zum Religionsunterricht
heute. Darüber gibt es sich sehr gute Auskunft, aber nicht zwingend über den
Religionsunterricht und seine Realität. Die zweite Studie, wie gesagt, befasst
sich mit Religionslehrerinnen und Lehrern, die gegenwärtig in Bayern tätig sind.
Sie betrifft damit sehr viel direkter den Religionsunterricht, aber wiederum in
einer spezifischen Perspektive. Durchweg werden Selbstwahrnehmungen und
Selbstbeschreibungen der Lehrkräfte erfasst, wobei zu bedenken bleibt, dass
Selbstaussagen dieser Art sich erheblich vom tatsächlichen Unterricht
unterscheiden können. Insofern ist der Vergleich mit Wahrnehmungen aus der
Schülerperspektive, wie sie Sie gerade beschrieben haben, aus meiner Sicht
unbedingt sinnvoll und besonders interessant. Aber auch aus diesem, auch in
diesem Falle sind aus meiner Sicht keine direkten Verknüpfungen möglich. Ich
würde mich dafür aussprechen, wenn diese beiden Studien verbunden werden,
dass nicht nach 1 zu 1 Verknüpfungen von Befunden gesucht wird, sondern die drei
Studien, jetzt bewusst alle drei, eher wie Scheinwerfer verstanden werden, die alle
drei in unterschiedlicher Weise ein und dasselbe Feld, den Religionsunterricht
Presenters
Prof. Dr. Friedrich Schweitzer
Zugänglich über
Offener Zugang
Dauer
00:21:53 Min
Aufnahmedatum
2018-06-08
Hochgeladen am
2018-10-01 15:25:34
Sprache
de-DE